Meinung zur Frage:
Flüchtlingskrise in Europa
Eine Lösung den Flüchtlingsstrom aus Afrika über das Mittelmeer nach Europa humanitär und zukunftsweisend abzustellen.
Standpunkt:
Mit Mut und Kreativität lässt sich die Flüchtlingskrise lösen und die EU reformieren.
Das Problem:
Vermehrt seit dem Jahr 2015 kommt eine größere Menschenzahl als Flüchtlinge nach Europa, aus verschiedenen Erdteilen und aus verschiedenen Gründen.
Die Herkunftsregionen von Flüchtenden sind schwerpunktmäßig die arabischen Länder Syrien, Irak und Afghanistan und der afrikanische Kontinent, dessen Fluchtrouten über nordafrikanische Länder und das Mittelmeer verlaufen.
In beiden Herkunftsregionen von Flüchtenden gibt es sowohl politische Gründe zur Flucht, wie Verfolgung oder Krieg, als auch ökonomische Gründe, allen voran die Perspektivlosigkeit einer einträglichen beruflichen Betätigung.
Der Flüchtlingsstrom aus den arabischen Ländern nach Europa ist im Jahr 2016 weitgehend versiegt, da die EU mit der Türkei ein Abkommen zum Festhalten der Flüchtlinge in der Türkei geschlossen hat, wofür die EU im Zeitraum von 2016 bis 2018 einen Betrag von 6 Mrd. € bezahlen muss.
Der Flüchtlingsstrom aus afrikanischen Ländern hingegen ist nach wie vor ungebrochen. Konkret waren es im Jahr 2017 etwa 200.000 Menschen, die nach Europa gelangt sind. Diese Anzahl nimmt sich gegenüber den 1,2 Mio. Flüchtenden, die in den Hauptfluchtjahren 2015 und 2016 jeweils insgesamt nach Europa gekommen sind, eher klein aus (Im Jahr 2015 stellten davon rund 500.000 Menschen Asylanträge in Deutschland, im Jahr 2016 waren es 750.000 Menschen.).
Dennoch wird das Thema „Flucht nach Europa“ von großen Teilen der Bevölkerung in vielen europäischen Ländern als Problem betrachtet, das immer wieder durch dramatische Ereignisse im Mittelmeer oder tragische Verbrechensfälle in den Aufnahmeländern (wie z.B. Mordfälle an Mädchen, Anschläge oder auch Behördenversagen) Nahrung erhält.
Die Unzufriedenheit über das ungelöste Flüchtlingsproblem treibt große Teile der Bevölkerungen in europäischen Ländern rechtspopulistischen Parteien zu, die mit nationalen Alleingängen und Isolation ihrer Länder werben. Das führt nicht nur zu einer Gefahr der humanistisch-christlichen Grundordnung in Europa, sondern verlagert das Flüchtlingsproblem in solche Länder, die sich gegen Zustrom von Flüchtenden aus geographischen Ursachen nicht – oder nur eingeschränkt – wehren können, wie Italien oder Griechenland.
Das „Flüchtlingsproblem“ sollte also dringend auf europäischer Ebene gelöst werden, was aber am Widerstand einiger Staaten scheitert, die sich kategorisch und letztlich unsolidarisch jeglicher konstruktiven Lösung verweigern. Hier sind an erster Stelle die vier Länder der Visegrad-Gruppe zu nennen: Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn. Der Widerstand hat nur deshalb – bisher – so großen Erfolg, weil Entscheidungen der EU, die die Souveränität der Mitgliedsstaaten betreffen, einstimmig getroffen werden müssen.
Hier setzt der Lösungsvorschlag an:
Die Lösung
Dass sich Menschen in Bewegung setzten und ihre Region oder ihr Land aus Gründen der persönlichen Sicherheit oder aus Perspektivlosigkeit verlassen, lässt sich grundsätzlich nicht verhindern.
Dass aber diese Menschen aus den genannten Gründen auf weit entfernte Erdteile bis nach Europa bzw. sogar bis nach Mittel- oder Nordeuropa flüchten, ist widersinnig und unlogisch: Jeder Mensch ist primär davon getrieben, eine sichere Existenz für sich und seine Familie aufzubauen. Das kann er weit besser im eigenen Kulturkreis seiner Herkunftsregion als in anderen und fremden Erdteilen.
Menschen, die wegen politischer Verfolgung fliehen müssen, suchen ebenfalls nach einem Staat mit sicheren Grenzen, innerhalb derer sie unbeschadet verweilen können, bis sie in ihre Herkunftsregion zurückkehren können. Je eher Flüchtende einen solchen Staat erreichen, umso besser. Umso einfacher ist auch eine spätere Heimkehr.
Das Problem liegt nur darin, dass es solche sicheren Staaten mit intakter Wirtschaft entlang der afrikanischen Fluchtroute nicht gibt – im Gegensatz zur arabischen Fluchtroute, in der die Türkei diese Funktion übernimmt. Speziell Libyen über den der hauptsächliche Flüchtlingsstrom verläuft, ist von staatlicher Ordnung weit entfernt: Das Land wird durch mehre Warlords beherrscht und befindet sich – jedenfalls teilweise – in der Anarchie.
Deshalb gilt es, an den hauptsächlichen Knotenpunkten der großen Fluchtrouten und so dicht an den Herkunftsländern wie möglich, sichere Bereiche einzurichten, in denen Fliehende sowohl Schutz vor Verfolgung und Unterdrückung finden können als auch eine ökonomische Perspektive vorfinden. Diese Schutzzonen müssen sich für den Flüchtlingsstrom aus Afrika in afrikanischen Ländern befinden, z.B. in Libyen. Da es dort zu wenig eigene staatliche Ordnung gibt, muss die Souveränität der Schutzzonen bei solchen Staaten liegen, die daran ein hohes Interesse haben, weil die Flüchtenden sonst weiter zu ihnen kommen würden: der EU!
Innerhalb solcher Schutzzonen auf afrikanischem Boden würde die Europäische Union Hoheitsrecht ausüben, es würde die europäische Rechtsordnung gelten und dies würde über europäische Sicherheitskräfte durchgesetzt werden. Die EU würde für Sicherheit, Recht und Ordnung in Schutzzonen sorgen. Darüber hinaus sind die Schutzzonen so organisiert, dass Unternehmen in den Sicherheitszonen mit Investitionen Arbeitsplätze schaffen. Dies würden Unternehmen dann tun, wenn sie in den Sicherheitszonen
- günstige Arbeitskräfte,
- eine attraktive Steuer- und Handelsgesetzgebung,
- günstige Energieversorgung,
- einen unbeschränkten Warenaustausch mit der EU
- menschenwürdige aber liberalere Arbeitsbedingungen als in den meisten EU-Staaten (z.B. im Kündigungsschutz und bzgl. der Bauauflagen), sowie
- günstige Einfuhr- und Ausfuhrmöglichkeiten in das jeweilige afrikanische Gastland (einschl. Einfuhren von Agrarprodukten aus den Gaststaaten in die EU)
vorfinden würden.
Afrikanische Länder würden solche Schutzzonen dann tolerieren, wenn sie selbst daraus einen Vorteil ziehen würden, was durch folgende Aspekte gegeben wäre:
- Neben der EU-Flucht-Schutzzone für Fliehende gäbe es jeweils eine EU-Wirtschaftszone, die ebenfalls im Hoheitsgebiet der EU auf afrikanischem Boden liegt. Diese stünde allen Unternehmen offen und würde unter denselben Bedingungen existieren wie die Schutzzone für Flüchtende, jedoch nur für Bürger des Gastlandes offenstehen. D.h. Bürger des Gastlandes dürften dort arbeiten. Die EU würde sich verpflichten für jeden Arbeitsplatz in der Fluchtschutzzone zwei Arbeitsplätze in der Wirtschaftszone zu schaffen.
- Die Steuer-Einnahmen aus der EU-Wirtschaftszone würden den Gastländern zufließen
- Die EU würde den Gastländern eine finanzielle Hilfezahlung leisten (Kontributionen), die sich von ihrer Höhe her, an den Zahlungen an die Türkei orientieren könnten. Allerdings könnten 50% der Steuereinkommen aus den Wirtschaftszonen mit den Kontributionen verrechnet werden. Damit könnten der Unterhalt der Flüchtlinge und die Wirtschaftszonen für die EU kostenneutral werden.
Wichtige Details für die Schutz- und Wirtschaftszonen:
- Um zu vermeiden, dass die afrikanischen Gastländer unkontrolliert mit Waren überflutet werden, die in Europa günstiger oder subventioniert hergestellt werden, also um zu vermeiden, dass Kleinbauern oder Handwerker in den Gastländern durch den offeneren Warenaustausch geschädigt werden, müsste es eine Restriktion der Ware geben, die aus den Zonen in die Gastländer ausgeführt werden dürfen. Diese Restriktion sollte so gestaltet sein, dass nur Ware mit einem afrikanischen Wertschöpfungsanteil von 50% oder mehr zollfrei ausgeführt werden darf. Zur „afrikanischen Wertschöpfung“ würden alle eigenen oder bezogenen Leistungen von afrikanischen Unternehmen zählen. Um sicherzustellen, dass afrikanische Leistungen nicht vorher aus anderen Regionen importiert worden sind, müssten sich Unternehmen, die aus der Zone nach Afrika zollfrei ausführen wollen, vorher prüfen lassen.
- Die Sicherheitszonen für Flüchtlinge hätten das Recht, Flüchtlinge, deren Asylgrund entfallen ist (z.B. weil sich das Herkunftsland befriedet hat oder von verurteilen Verbrechern in der Schutzzone) in ihr Herkunftsland zurückzuschicken. Dafür hätte die Sicherheitszone ein „robustes Mandat“ diese Rückführung durchzusetzen. Diese Rückführung kann auch dem Zweck dienen, die Sicherheitszone nicht überlaufen zu lassen.
- Flüchtlinge aus den Sicherheitszonen, die über einen längeren Zeitraum gut integriert einen produktiven Beitrag zum Gemeinwesen beigetragen haben, sollten die Perspektive erhalten, entweder im Gastland ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten oder in einem EU-Staat aufgenommen zu werden. In der Regel in dem Land, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, bei dem der Flüchtling in der Schutzzone gearbeitet hat.
- Es ist für die Akzeptanz dieser Lösung wichtig, dass die Zonen in Afrika und nicht in Europa liegen. Nur dann ist mit einer Zustimmung auch der Visegrad-Staaten zu rechnen.
- Flüchtlinge, die im Mittelmeer oder auf dem europäischen Festland aufgegriffen werden, würden in die Schutzzonen zurückgebracht werden. So „entfällt“ die Perspektive, leicht nach Europa zu gelangen.
Die politische Durchsetzung
Für die oben skizzierte Lösung ist erst einmal nicht mit grundsätzlichen Widerständen innerhalb der europäischen Mitgliedstaaten zu rechnen.
Dies schon auch deshalb, weil sich bei anhaltender Fortsetzung der Flüchtlingsdramen im Mittelmeer, der Trend zu rechtsextremen und rechtsnationalen Parteien und politischen Strömungen in Europa verstärken wird, was es zu verhindern gilt.
Allerdings ist mit vereinzeltem Widerstand immer zu rechnen, speziell von den Visagrad-Staaten oder Ländern, die heute schon rechtspopulistisch regiert sind.
Falls die Entscheidung über die Einrichtung von Sicherheitszonen einstimmig im Europäischen Rat zu erfolgen hat, wovon auszugehen sein wird, dann ist an dieser Stelle ein Bruch des Europarechts empfehlenswert.
Ziel des „Rechtsbruches“ wäre es, diese Entscheidung im einfachen oder qualifizierten Mehrheitsverfahren, aber nicht im Einstimmigkeitsverfahren herbeizuführen. Dagegen protestierenden Staaten – wie z.B. den Visegrad-Staaten – wäre die Türe aus der EU zu weisen.
Kurz gesagt: Wer nicht mitmacht, fügt sich oder er fliegt raus!
Dieser Schritt ist rechtswidrig bzw. schon angrenzend revolutionär. Es ist dennoch an dieser Stelle aus mehreren Gründen vertretbar, u.a. deshalb:
- Die EU wird mitunter als handlungsunfähig und reformunfähig gesehen. Dies nicht ganz zu Unrecht: Eine EU ohne Blockadepotential einzelner Staaten wäre weit stabiler und zukunftssicherer aufgestellt.
- Das Flüchtlingsproblem ist letztlich eine Frage der Identifikation der Mitgliedsstaaten und seiner Bürger mit Europa – deshalb hat diese Frage die Möglichkeit die Gemeinschaft zu sprengen, wie beispielsweise am Brexit gesehen werden kann.
- Zuletzt und am Wichtigsten: Rechtsextreme und nationalistische Regierungen können zu schlimmen Ergebnissen führen, das sieht man nicht nur an der Deutschen Geschichte. Insofern ist eine kleine Revolution der Europäischen Entscheidungsfindung das mildere Mittel.
Fazit:
Die o.g. Gedanken erheben keinen Anspruch darauf ein fertiges Konzept zu sein.
Eine erfolgreiche Lösung auf der beschriebenen Basis zu finden, erscheint gleichwohl hochgradig wahrscheinlich, wenn die politischen Akteure in der Umsetzung:
- Auf europäischer Ebene so geschlossen wie möglich handeln
- Kreativ und pragmatisch agieren
- Entschlossen und uneigennützig das Ziel nicht aus dem Auge verlieren.
Vielen Dank
Ihr Albert Sauter
Albert.sauter@meinungzurpolitik.de
www.meinungzurpolitik.de
Balingen, 15. Juli 2018